Assoziationsmuster

Christoph Gassmann, 2008

Rosen

Wenn Sie die Bedeutung von „Blaupause“ in einem Lexikon nachschlagen wollen, so schlagen Sie das Wort unter „B“ nach. Auf diese Weise speichern wir unsere Daten gedruckt, oder auch elektronisch. Natürlich kann man das Alphabet auch durch Zahlen und Zahlenreihen ersetzen. Was bleibt ist die Art und Weise, wie Daten katalogisiert werden, nämlich linear. Auch Ereignisse im Wachleben ordnen wir gewissen Zeiten zu. Diese ereignen sich der Reihe nach im Laufe der Zeit: zuerst war dies, dann das, worauf jenes folgte. Also auch hier eine lineare Abfolge. Dasselbe gilt für Bücher, die wir von vorne nach hinten lesen um die Informationen der Reihe nach aufzunehmen, oder Filme, die wir uns anschauen, bestehen aus einer linearen Abfolge von Bildern.

Bei Film und Buch wird die lineare Abfolge, zumindest in der Handlung aber schon durchbrochen. Der Krimi setzt zum Beispiel bei der Leiche ein und blendet zurück, um zu zeigen, wie es dazu kommen konnte. Ein Film mag mitten in einer Handlung einsetzen, die wir nicht recht verstehen können, doch allmählich, durch Rückblicke, durch Perspektivenwechsel von einer Person zur anderen beginnen wir zu erkennen, in was für einem Gesamtzusammenhang die anfangs dargestellte Handlung steht. Einige moderne Filme bestehen überhaupt nicht mehr aus einer Handlungskette, die von einem Anfang zu einem Ende führt, sondern aus mosaikartigen Szenen, deren Beziehung zueinander mehr oder weniger ausgeprägt ist. Dadurch entsteht eine Stimmung, ein Gesamtbild, die man wahrnimmt, die man aber logisch nicht recht einordnen kann. Solche Filme haben in der Regel eine etwas traumhafte Ausstrahlung.

Somit wären wir beim Thema. Unsere Psyche und damit auch unsere Träume sind nach einem anderen Prinzip geordnet, das man assoziativ nennen kann. Die Psyche verknüpft Dinge und Ereignisse aufgrund von Ähnlichkeiten. Das können ähnliche Eigenschaften in Farbe, Form oder Funktion sein. Das können aber auch Gefühle sein, welche mit Ereignissen zusammenhängen, oder generelle Themen, die sich in sehr unterschiedlichen Ereignissen ausdrücken können. So weit so gut. Assoziative Verbindungen können aber auch durch Kontrast entstehen. Zu Rot fällt einem schnell einmal Grün ein. Weiter können solche Verknüpfungen durch zeitliche oder räumliche Übereinstimmung entstehen, auch wenn es inhaltlich keinen erkennbaren Zusammenhang gibt. Berühmt ist der Pawlowsche Hund, der jedes Mal, wenn ihm ein Fressnapf vorgesetzt wurde gleichzeitig ein Glockenton zu hören bekam. Wegen dem Fressnapf vor Augen entwickelte das Tier Speichel im Mund, welcher gemessen wurde. Mit der Zeit konnte man aber den Fressnapf weglassen und nur die Glocke ertönen lassen, worauf das gute Tier aufgrund des Glockenklangs Speichel produzierte. In seinem Kopf war eine Assoziation von zwei Dingen entstanden, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, in seiner Erfahrung aber sind Fressnapf und Glocke eng miteinander verknüpft. Wird das einige Male so wiederholt, so beginnt sich diese Verknüpfung zu lockern, denn sie ist nicht zielführend. Der Hund bildet die neue Erfahrung, dass es beim Glockenton kein Fressen gibt, weshalb er mit der Zeit keinen Speichel mehr produziert. Latent bleibt diese Verknüpfung jedoch bestehen und kann schneller wieder aktiviert werden.

Wir funktionieren ganz auf ähnliche Weise. Wenn wir wiederholt die Erfahrung gemacht haben, das die Arbeit mühsam ist, so entsteht eine assoziative Verknüpfung zwischen Arbeit und Mühsal. Arbeit ist aber auch Verbunden mit ihrem Gegenteil: Freizeit. Die Arbeit mag in einem Raum stattfinden, der nach Kunststoff riecht, so bildet sich auch hier eine Assoziation. An der Arbeit hat ihnen ihre Arbeitskollegin eine Geschichte erzählt, die mit Kartoffelsalat zusammenhängt. Auch dies wird miteinander verknüpft. Diese Kollegin ist verheiratet, ihr Mann ist ein bekannter Politiker, Politik interessiert sie nicht sonderlich, denn ihr Interesse liegt bei Träumen, sie wollten doch noch ein Buch über Träume kaufen, Bananen sind heute im Angebot, wie viel hat wohl der Bauer für die Banane gekriegt, ihr Grossvater war Bauer, die Arbeit im Freien war schon ganz anders, als die Arbeit im Büro etc. So werden in unserer Seele Verknüpfungen laufend erschaffen, sei es halbbewusst in Form von Tagträumen, wenn wir entspannt sind oder gänzlich unbewusst, wenn wir unsere Aufmerksamkeit gezielt auf etwas konzentrieren. Es entsteht ein riesiges Netzwerk, über das man schnell den Überblick verliert. Auch unser Gedächtnis funktioniert so, und es wird auch erst brauchbar, weil jedes Ereignis kreuz und quer verknüpft ist. So besteht die Gewähr, dass eine Erinnerung schnell gefunden wird. Wenn das Gedächtnis linear organisiert wäre, müsste man immer die ganze unendliche Reihe abspulen um eine Erinnerung zu finden, was völlig ineffizient wäre.

Bei Träumen nun spielen diese assoziativen Muster eine ganz wesentliche Rolle. Träume sind nach diesem Prinzip geordnet. Häufig mögen wir beispielsweise erwachen und uns an einige Ereignisse erinnern, aber beim besten Willen können wir nicht festhalten, wo die Handlung begann, wie sie weiterging und wie sie endete. Es ist nicht klar, was vorher war, und was nachher. Manchmal haben wir den Eindruck, dass Dinge gleichzeitig oder parallel geschehen sind, obwohl uns das als unmöglich erscheint.
Stars Einmal träumte mir, dass ich inmitten einem Meer von Träumen sitze, rings um mich lauter Träume, wie die unzähligen Sterne am klaren Nachthimmel. In all diesen Träumen passierte etwas und je nach dem, auf welchen Traum ich meine Aufmerksamkeit wie mit einem Teleskop richtete, erlebte ich dem entsprechend etwas anderes. Das halte ich für ein ausgezeichnetes Bild von dem, was in unserer Seele geschieht. Manchmal mögen wir den Eindruck haben, dass unsere Seele mit dem Teleskop von einem Thema zum andern hüpft und keines länger verfolgt. So entsteht ein Erinnerungsdurcheinander, das für unser Wachbewusstsein schwer zu ordnen ist. Unser Wachbewusstsein wurde nämlich durch unsere Kultur, durch unsere Schule, durch unsere Betonung der Logik auf eine lineare Denkweise getrimmt, die uns in Sachen Träume gar nicht weiterhilft. Weil wir beim Erwachen so ratlos sind, neigen wir gerne dazu, über Träume negativ zu urteilen. Träume sind Schäume, sie sind Unsinn, sie sind unverständlich, sie sind chaotisch, sie sind zufällig, sie sind sinnlos.

In diesem Zusammenhang kann ich dem Trauminteressierten nur raten, die „sinnlosen“ Traumbruchstücke lose hintereinander aufzuschreiben, obwohl er weiss, dass diese nicht nacheinander stattgefunden haben. Die lineare Schrift ist kein adäquates Mittel, um solche Träume festzuhalten, aber wir haben nichts anderes. Wir sind gezwungen, Dinge in einen linearen Ablauf zu bringen, von denen wir wissen, dass sie nicht so stattgefunden haben. Ergeben Sie, werter Leser, sich der Konfusion und schreiben sie einfach auf, was sie erinnern, sei es nun logisch oder nicht. Im Nachhinein können Sie dann in Ruhe studieren, wo und wie der Zusammenhang dieser Fragmente sein könnte.

Natürlich gibt es auch andere Träume, die mehr einen Handlungsfaden aufweisen und eine ganze Geschichte ergeben. Bei diesen Träume dürfte das Wachbewusstsein, und somit das, was Freud das sekundäre Bewusstsein nannte, wohl stärker beteiligt sein. Aber wir wollen hier mehr vom primären, assoziativ organisierten Bewusstsein sprechen, weil es uns fremder ist, obwohl es, wie der Name sagt, unser originaler und ursprünglicher Bewusstseinszustand ist.

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Auch beim Deuten der Träume spielt die assoziative Verknüpfung eine wichtige Rolle. Eine Maus im Traum kann wegen ihrer Niedlichkeit eine positive Bedeutung haben, sie kann aber auch als Störenfried und Räuber erlebt werden, der ins Haus einbricht, stielt und Unordnung verursacht. Einige Leute verknüpfen Angst mit einer Maus. Eine Katze assoziiert zum Thema Maus wohl Jagd, Freude, Spiel und Mahlzeit. So hat jedes Traumsymbol eine allgemeine Bedeutung aufgrund seiner eigenen Farbe, Form und Funktion, sowie eine spezielle Bedeutung aufgrund von persönlichen Erfahrungen und aufgrund des Zusammenhanges, indem das Traumsymbol auftritt. Auch hier ist wieder das vielseitige Beziehungs- und Bedeutungsgeflecht erkennbar, in dem jedes Traumelement eingebettet ist.

Die Wissenschaft zieht mehr und mehr in Erwägung, dass Träume gerade wegen ihrer Netz- und Gewebestruktur wesentlich sind zur psychischen Verarbeitung und Integration von Erfahrungen, sowie zur vernetzten Ablage im Gedächtnis. Schon lange aber ist diese Ordnungsstruktur der Träume bekannt. Früher hatte man deshalb von den Traumweberinnen gesprochen, welche den Traumteppich weben, oder auch die Spinne mit ihrem Netz wurde als Symbol für diesen Sachverhalt verwendet.

Ohne dieses vieldimensionale Netz von Assoziationen wäre unser tägliches und nächtliches Leben völlig bedeutungslos. Es wäre vermutlich gar nicht wahrnehmbar und auch nicht erinnerbar.

Christoph Gassmann, Horgen, Schweiz
traumring.info