Anthroposophie und der Traum

Christoph Gassmann, 2004

Rudolf Steiner

In der von Rudolf Steiner (1861-1925) gegründeten Anthroposophie spielt der Traum eine wichtige Rolle. Diese im deutschen Sprachraum und darüber hinaus bedeutsamen Geistesströmung versteht sich als Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltenall führen möchte. Um den Geist im Menschen und dessen Beziehung zum Geist des Weltenalls besser zu verstehen bietet sich unter anderem die Auseinandersetzung mit den Träumen an.

Grundsätzlich unterscheiden die Anthroposophen zwischen dem Gedächtnisträger, der die Elemente oder Symbole des Traumes beisteuert und dem Dramatiker, der diese Elemente verbindet und arrangiert. Um einen Traum besser zu verstehen, untersuchen sie den Handlungsablauf und die Stimmung die er erzeugt, um dessen Dramaturgie zu erkennen und bleiben nicht bei der Deutung einzelner Symbole stecken. Träume können eine Verarbeitung der vergangenen Tage, aber auch vergangener Inkarnationen darstellen. Ausserdem spiegeln sie Ereignisse, die im Tiefschlaf, in der Selbstvergessenheit entstanden sind. Diese beinhalten neu entstehende Motive, welche das zukünftige Leben des Träumers beeinflussen können.

Der Traum wird von den Anthroposophen als chaotisches Gegenbild geistiger Erfahrungen in der ätherischen und der astralen Welt verstanden. Letztere wird durch Rudolf Steiner unter anderem als eine subjektive Welt beschrieben in der dem Träumer innere Goetheanum Zustände wie Begierden, Wünsche und Vorstellungen als äussere Wesen und Ereignisse entgegentreten. Es bedarf der Klärung des Traumbewusstseins durch geistige und okkulte Schulung, damit es als Brücke zu diesen Welten dienen kann. Dies verbindet die Anthroposophie mit der Theosophie, aus der sie entstanden ist und mit anderen abendländischen Systemen, die eine okkulte Praxis gepflegt haben. Sie ist aber damit auch ein klarer Vorläufer des Luziditätstrainings, wie es heute auf so zeitgemäss aufgeklärte und entmystifizierte Weise propagiert wird. Ich halte es für wichtig, dass die anthroposophischen Traumtheorien nicht nur von Anthroposophen studiert werden, sondern von allen, die an Träumen interessiert sind, da darin viele Überlegungen und Erkenntnisse zu finden sind, welche die Traumdiskussion bereichern.

Christoph Gassmann, Horgen, Schweiz

Photos:
- Rudolf Steiner, der Gründer der Antroposophie
- Das erste Goetheanum in Dornach, Schweiz. Es war das erste Zentrum der Anthroposophische Gesellschaft.

Literatur:
- Johannes W. Schneider: Träume besser verstehen (Verlag Freies Geistleben, Stuttgart 1999)
- Rudolf Steiner: Über den Traum (Zusammengestellt von Herbert Senft, Verlag die Pforte 1997)